Für eine ökologische Schlichtungsstelle Jörg Sommer über die mangelnde Akzeptanz von Großprojekten und mögliche Lösungen

«nimby» heißt das Phänomen im englischsprachigen Raum. Und es meint das, was wir auch in Deutschland immer wieder erleben: Egal ob Bahnhof oder Sondermülldeponie, ob Biogasanlage oder aktuell sogar Windräder. «nimby» ist allzu oft die Antwort der Bürgerinnen und Bürger. «nimby» steht als englischsprachiges Akronym für «not in my back yard» (Deutsch: „Nicht in meinem Garten“). Es beschreibt eine egoistische Position, die darauf bedacht ist, Probleme nicht im unmittelbaren Umfeld zu ertragen.

Waren die Umweltschutzbewegung und die Anti-Atom-Bewegung in den 80er Jahren noch primär politisch bzw. ethisch motiviert, so konnten auch hier bereits Elemente des «nimby»-Ansatzes erkannt werden, etwa wenn im Wendland auch ansonsten gänzlich unpolitische oder gar konservative Landwirte, zuvor langjährige treue CDU-Wähler, gegen das geplante Endlager Gorleben mit zum Teil radikalen Methoden vorgingen.

Heute lassen sich in vielen Konflikten tatsächliche ethische Motive wie die Sorge um die Umwelt häufig kaum noch von Scheinargumenten mit «nimby»-Charakter trennen, fokussiert im neuen Medienbegriff des «Wutbürgers», ein dummer Begriff für ein immer problematischer werdendes Phänomen.

Zwischenzeitlich ist es in Deutschland kaum noch möglich, große Infrastrukturvorhaben (auch im Interesse der Umwelt!) zu realisieren, ohne es mit zum Teil erbitterter Gegenwehr – oft mit «nimby»-Hintergrund – zu tun zu haben. Selbst Solaranlagen, Windräder, Biogasanlagen, Speicher- und Leitungsprojekte, die zur Realisierung der beschlossenen Energiewende unabdingbar sind, lassen sich kaum noch oder nur mit großem Aufwand, langer Verzögerung und entsprechenden Mehrkosten verwirklichen.

Industrieprojekte haben es da noch schwerer, denn Wirtschaft gilt in weiten Kreisen der Bevölkerung per se als Störenfried. Kurzsichtige Unternehmenskommunikation, die oft als Einbahnstraße die falschen Zielgruppen mit meist durchsichtigen Parolen versorgt – und das auch noch fast immer viel zu spät – leistet meist ein Übriges zur Eskalation.

Natürlich lassen sich am Ende die meisten Vorhaben dennoch durchsetzen. Doch dann ist längst jeder Zeitplan und jedes Budget gesprengt und oft auf Jahre hinaus «verbrannte Erde» hinterlassen worden. Konflikte in der Zukunft sind vorprogrammiert, Medien gehen in Lauerstellung, der Unternehmensruf ist angekratzt, Investoren sind verschreckt. Bei öffentlichen Investitionen mit einer vergleichbaren Geschichte heißt das meist: Die nächste Wahl für Amtsinhaber oder Regierungspartei ist so gut wie verloren.

Diese Entwicklung ist fatal. Denn nur wenn Veränderungen nicht prinzipiell abgelehnt werden und der gesellschaftliche Konsens wieder Priorität gegenüber Partikularinteressen gewinnt, ist Entwicklung möglich. Wandel braucht Akzeptanz. Ist die nicht gegeben, bleiben Investitionen aus. Das belastet auf Dauer die Umwelt weiter in nicht zu rechtfertigendem Masse, gefährdet Arbeitsplätze und lässt Investitionen in Länder abfließen, in denen sie günstigere Bedingungen vorfinden.

Wir brauchen also einen Weg zurück zu einer Investitionskultur, die auf beiden Seiten – Investor und unmittelbar Betroffene (Stakeholder) – von einem hohen Maß an Konfliktkompetenz und Lösungsbereitschaft geprägt ist. Diese Kultur kann aber nicht von oben verordnet werden – sie muss an ganz konkreten Projekten wachsen. Dafür bedarf es einer neutralen und unabhängigen Institution, die die Kultur der Stakeholderbeteiligung entwickelt, dabei Unternehmen, Öffentliche Entscheider sowie Akteure der Zivilgesellschaft dafür qualifiziert – und diese Prozesse auch moderiert.

Ob diese Institution nun „ökologische Schlichtungsstelle“ oder Stakeholder-Agentur heißt, ist sekundär. Wir brauchen sie – und das bald.

Jörg Sommer ist Mitherausgeber des Jahrbuch Ökologie, Mitglied des Nationalen CSR-Forums und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung