Weil der Klimawandel keinen Schnauzbart trägt… von Ilona Jerger

Vom 28. November bis 9. Dezember findet der nächste UN-Klimagipfel statt. Dieses Mal im südafrikanischen Durban. 2010 hat der globale CO2-Ausstoß ein neues Rekordhoch erreicht: 33,5 Gigatonnen.

Angesichts solcher ungeheurer Mengen an klimaschädlichen Gasen wird es immer schwieriger, den Temperaturanstieg auf der Erde unter zwei Grad zu halten – was gefährliche Auswirkungen hätte.

Warum eigentlich folgen vielen schönen Worten auf vielen Klimagipfeln so wenige Taten?

Das wollte Ilona Jerger wissen und fand großen Gefallen an dieser Antwort:

Weil der Klimawandel keinen Schnauzbart trägt…

Die Chancen, dass Teile von Manhattan sich in ein Aquarium verwandeln, weil schmelzende Eisschollen die Ozeane anschwellen lassen, seien weit größer als dass ein böser Saudi sich mit einer Bombe im Schuh an ein Flugzeug heranpirscht. Und dennoch würden Milliarden Dollar zur Bekämpfung des Terrorismus ausgegeben und kaum etwas, um der Erderwärmung etwas entgegenzusetzen. So Daniel Gilbert, Professor für Psychologie an der Havard University. Er wollte wissen, warum das so ist und gab vor einiger Zeit vier wundervoll heitere, todernste Antworten. Und die sollten wir uns, angesichts der „17. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention“ in Durban, noch einmal zu Gemüte führen.

Erstens: Wir fürchten uns nicht, weil der Klimawandel keinen Schnauzbart trägt. Ja, richtig gelesen. Denn als soziale Säugetiere hat sich unser Hirn auf das Verhalten anderer Säugetiere eingeschossen. Wir beobachten alles, was die anderen tun oder planen, weil das für unser Überleben entscheidend ist. Daher fürchten wir uns vor einem Anthrax-Anschlag (null Tote pro Jahr) mehr als vor der Grippe (bis zu einer halben Million Toten pro Jahr). Wäre die Erderwärmung also durch einen brutalen Diktator (Schnauzer!) verursacht, dann stünde sie ganz oben auf unserer Agenda.

Zweitens: der Klimawandel verletzt nicht unser moralisches Empfinden. Um unser Blut in Wallung und uns zum Handeln zu bringen, müssen wir beleidigt werden oder angewidert sein. Jede menschliche Gesellschaft habe moralische Regeln, zum Beispiel was Essen oder Sex betrifft. „Deshalb sind wir empört über jeglichen Bruch von Protokollen und Verträgen, nur nicht über den von Kyoto.” Würde der Klimawandel durch schwulen Sex ausgelöst, versammelten sich Millionen protestierender Menschen auf den Straßen.

Drittens: Die Erderwärmung bedroht zwar unsere Zukunft, nicht aber unsere nächsten Nachmittage. Wir haben gelernt, uns in Millisekunden vor einem Baseball-Schläger zu ducken, weil unser Hirn sich in einigen hundert Millionen Jahren zu einer Art „Ausweich-Maschine” entwickelt hat – aber erst seit einigen Millionen Jahren dazu, die Gefahr vorherzusehen. Um Gefahren der Zukunft wirklich so zu behandeln wie die der Gegenwart, müssen wir noch ein paar Millionen Jahre weiterüben. Würde, so Gilbert, der Klimawandel uns ab und zu ein Auge ausschlagen, hätten wir längst reagiert.

Viertens: Die Erderwärmung geht viel zu langsam vonstatten. Unser Hirn reagiere auf abrupte Veränderungen schnell und präzise, auf allmähliche, graduelle kaum bis gar nicht. Beleg: Die Verkehrsdichte in Los Angeles habe sich über Jahrzehnte dramatisch erhöht. Wäre das von einem Tag auf den anderen passiert, wären Politiker ermordet, der Notstand ausgerufen und die Stadt gesperrt worden.

Fazit: Wir sind die Nachfahren von Jägern und Sammlern, deren Leben kurz und deren größte Bedrohung ein Mensch mit Keule war. Wen wundert es also, dass wir mit aller Kraft reagieren, wenn Terroristen angreifen? Und seelenruhig schlafen, wenn es auf der Erde wärmer wird? Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Daniel Gilbert die Vertreter der 189 Staaten, die in Durban nun wieder Tage lang miteinander ringen werden, zunächst über die evolutionären Fallstricke in ihren Hirnen aufklären würde. In einem Eröffnungsreferat. Vielleicht würde sie dann der Ehrgeiz packen, den Instinkten ihren Willen und ihre Intelligenz entgegenzusetzen. Das wäre doch ein echter Fortschritt!

Ilona Jerger, langjährige Chefredakteurin von natur+kosmos (davor Stellv. Chefredakteurin von natur), schreibt als freie Autorin und Journalistin über Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Sie hat Politische Wissenschaften und Germanistik studiert. Ilona Jerger ist Beiratsmitglied der Deutschen Umweltstiftung.