Der Papst geht voran – seine Kirche zögert Jörg Sommer über die Umweltenzyklika Laudato Si’

Als Papst Franziskus am 18. Juni 2015 in Rom seine zweite Enzyklika vorstellte, die sich schwerpunktmäßig mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigt, nannte er sie „Laudato Si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“.

Er benannte seinen Text nach dem Sonnengesang des Franz von Assisi, der in der römisch-katholischen Kirche und von vielen Christen anderer Konfessionen als Heiliger verehrt wird: „Laudato Si’, mi’ signore, cun tucte le tue creature“ – „Gelobt seist du, mein Herr, mit all deinen Geschöpfen“.

Papst Franziskus erklärt in der Enzyklika, dass der heilige Franziskus „eine Art Leitbild und eine Inspiration“ für ihn sei: „Ich glaube, dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist.“

Angekündigt hatte Papst Franziskus die Umweltenzyklika bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2013. Dass es bis zur Veröffentlichung über zwei Jahre dauerte, ist ein Hinweis darauf, dass der Inhalt innerhalb des Vatikans alles andere als unumstritten war. Insider berichteten von zahlreichen Interventionen, Krisenkonferenzen und Versuchen von Lobbyisten, Formulierungen aus dem Text zu streichen oder zumindest abzuschwächen.

So wurden zum Beispiel Mitarbeiter des Heartland Institute, einer konservativen Denkfabrik aus den USA, in Rom vorstellig. Sie bemühten sich unter anderem, dem Papst klarzumachen, „dass menschliche Aktivitäten keine Klimakrise auslösen“.

Bisher nicht gekannte Klarheit und Schärfe

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund die Eindeutigkeit, Klarheit und Schärfe des letztlich publizierten Textes. Offenbar hatte sich der Papst weitgehend gegenüber den Blockierern und Lobbyisten durchgesetzt. Wer in der Geschichte der katholischen Kirche bewandert ist, weiß, dass dies keineswegs die Regel darstellt.

Die Enzyklika ist letztlich ein eindringliches Plädoyer für Umwelt- und Naturschutz geworden. Sie kritisiert eindeutig die „Lüge von der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter unseres Planeten“ und sie zieht weitreichende Konsequenzen aus der ökologischen Frage: „Wir kommen … nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussion aufnehmen muss, um die Klagen der Armen ebenso zu hören wie die Klagen der Erde.“

Der Papst sieht die Ursache der globalen ökologischen und sozialen Probleme in einem „fehlgeleiteten Anthropozentrismus“ durch eine „relativistische Denkweise“, in der die Natur zubereitet, isoliert und selektiv, aber nicht ganzheitlich gesehen wird.

Laudato Si’ kommt das Verdienst zu, die Naturzerstörung nicht nur in ihren ökonomischen und technischen Ursachen zu sehen, sondern auch in ihren sozialen und kulturellen Zusammenhängen: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozial-ökologische Krise.“

Das Umdenken in der Kirche blieb aus

So klar wie Franziskus hat noch kein Papst beschrieben, dass unbegrenztes Wachsen, Verbrauchen und Wegwerfen nicht möglich sind. Der Text blieb in der Folge nicht ohne Wirkung. Nachdem er rechtzeitig vor dem Weltklimagipfel in Paris erschien, demonstrierten am Vorabend des Gipfels Hunderttausende auf den Global Climate Marches in London, Berlin, Madrid, Amsterdam, Bogotá, Johannesburg, Dhaka, Kampala, Omaha, Rom, São Paulo, Sydney, Seoul, Ottawa, Tokio und Tausenden anderen Städten unter ausdrücklicher Berufung auf Laudato Si’.

Auch in Paris beriefen sich immer wieder Delegierte aus vielen Nationen auf Formulierungen und Positionen aus der Enzyklika. Sie hat, darin sind sich die Experten einig, dazu beigetragen, dass es in Paris letztlich zu einem ehrgeizigen Weltklimavertrag kam.

So eindrucksvoll diese unmittelbare Wirkung einer päpstlichen Enzyklika ist, so irritierend ist die offensichtlich nur marginale Rezeption in der katholischen Kirche selbst. Würden die katholischen Eliten weltweit die Enzyklika ernst nehmen, wären radikale Umweltschutzmaßnahmen, konsequente Energiewenden, rasche Ausstiege aus fossilen Brennstoffen und eine Unterstützung der ärmeren Länder bei der Umsetzungen einer sozial-ökologischen Wende Handlungsanleitung für jeden Katholiken. Davon ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wenig zu erkennen.

Auch die katholischen Landeskirchen positionieren sich seit 2015 weder vernehmbarer noch entschiedener zu Umwelthemen. Offensichtlich ist in den nach wie vor dominierenden konservativen Kreisen des Katholizismus ein Überdenken des weder ökologisch noch sozial gerechten westlich-industriellen Lebenswandels ein Tabu, an dem selbst eine päpstliche Enzyklika nicht rütteln kann.

Ruf nach anderen Formen des Wirtschaftens

Wirklich überraschend ist dies letztlich nicht: Es hat nach Christi Geburt über 2.000 Jahre gebraucht, bis der Hirte der sich auf ihn berufenden großen Weltkirche endlich die Bewahrung der Schöpfung als explizite Aufgabe anerkennt. Da wäre es vermessen zu erwarten, dass seine Gläubigen ihm darin willig folgen, insbesondere nicht jene, die sich bislang noch auf der Gewinnerseite des von ihm kritisierten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells sehen.

Dies sollte uns nicht dazu verleiten, den Wert von Laudatio Si‘ geringzuschätzen. Die Enzyklika ist eine der klarsten religiösen Richtungsweisungen seit der Bergpredigt. Aufgabe der ökologisch-sozialen Bewegungen ist es, die katholischen – und nichtkatholischen – Eliten stetig aufs Neue mit ihrem Inhalt zu konfrontieren. Franziskus fordert in Laudato Si’ die Menschheit auf, andere Wege im Umgang mit der Welt zu suchen, vor allem „andere Formen des Wirtschaftens“.

Man muss kein Christ sein, um diese Einsicht mit ihm zu teilen.